Legasthenie ist eine Schwäche, mit und aus der man stark werden kann.

Lesen und Schreiben sind elementare Kulturtechniken und Schlüsselfaktoren für die Teilhabe in der Gesellschaft. Aber nicht immer ist das Erlernen dieser Fertigkeiten ein Kinderspiel. Eine Ursache für Schwierigkeiten kann eine Legasthenie sein.

Die Weltgesundheitsorganisation hat mit der ICD-Norm 10 eine statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme vorgenommen. Unter Punkt F 80 – 89 findet man die „Dyslexie" als umschriebene Entwicklungsstörung schulischer Fertigkeiten, die ihre Ursache nicht in organischen Erkrankungen oder in nicht ausreichender Beschulung haben. Die Legasthenie hat genetische Ursachen. Das bedeutet, dass sie nicht heilbar ist, und die Betroffenen ein Leben lang damit zu tun haben.

Eine Legasthenie ist insbesondere dann anzunehmen, wenn es eine signifikante Diskrepanz zwischen den kognitiven Fähigkeiten und den Lese- und/oder Rechtschreibkompetenzen gibt. Gestört oder geschwächt sind Funktionen im Gehirn, die für das Erlernen der Grundfertigkeiten erforderlich sind. Welche Funktionen betroffen sind und in welchem Ausmaß ist individuell ausgeprägt.

 

Wie wirken sich legasthene Schwierigkeiten auf den Prozess des Erwerbs von Grundfertigkeiten aus?

Im Folgenden haben wir einige dieser Funktionsschwächen und ihre Auswirkungen auf den Lernprozess aufgelistet, um besser zu verstehen, was das Lesen und Schreiben schwierig macht.

  • Um ein Wort zu schreiben, muss man den Laut eines Buchstaben (Phonem) mit dem Zeichen des Buchstaben (Graphem) verknüpfen können. Diese Verknüpfung von Lauten und Schriftzeichen gelingt nur unzureichend. Beim Lesen muss man das Zeichen wiederum zum Laut „decodieren". Voraussetzung für die gelungene Verknüpfung bzw. Dekodierung ist die Speicherung der Zeichen und ihre Zuordnung zu einem Laut.
  • Legastheniker können Wortbilder nicht oder nur unzureichend abspeichern. Hier ist u. a. das visuelle Gedächtnis gefordert. Ist ein Wortbild nicht abgespeichert, kommt es dazu, dass ein und dasselbe Wort in einem Text unterschiedlich geschrieben wird. Man spricht auch von „Wortblindheit". Es kommt auch eher nicht vor, dass einem Legastheniker eine Schreibweise „komisch" erscheint. Trotz vielen Übens bleibt daher die Recht- schreibfehlerquote hoch.
  • Ist die auditive Differenzierung und die auditive Speicherung beeinträchtigt, misslingt die Unterscheidung zwischen harten und weichen Konsonanten. Ursächlich ist nicht eine organische Hörschwäche, sondern eine andere Verarbeitung der Laute.
  • Oft bestehen graphomotorische Schwächen. Die Buchstaben zu kreieren stellt eine große Herausforderung dar. Das führt häufig dazu, dass die Texte nicht lesbar sind. Sie können beim Schreiben weder die Zeilen, noch die Ränder oder die Wortgrenzen einhalten. Ähnliche Grapheme werden vertauscht: b/d - g/p.
  • Probleme bei der Orientierung im Raum und der Raumlage zeigen sich auch beim Lesen. Sie verrutschen in der Zeile, können sich nur schwer im Text orientieren.
  • Unterschiedliche Funktionen zusammenzuführen (Intermodalität) fällt ihnen schwer. Selbst wenn sie die Rechtschreibregeln kennen, gelingt es nicht oder nur unzureichend, im Prozess des freien Schreibens die Regeln zu beachten.
  • Auffällig sind die Tagesformschwankungen der Schülerinnen und Schüler. Es gibt Tage, an denen z. B. das Lesen sehr gut klappt, an anderen Tagen scheitern sie schon am Anfang des Textes. Dass die Aufgaben an manchen Tagen nicht gelingen, ist nicht fehlender Konzentration geschuldet!
  • Wer große Schwierigkeiten hat, einen Text „technisch" zu erlesen, hat häufig auch Schwierigkeiten beim Textverständnis. Die große Anstrengung, die das Lesen erfordert, führt zu schnellerer Ermüdung und damit zu einer Abnahme der Aufmerksamkeit. Legasthene Kinder lassen sich daher lieber vorlesen.
  • Sie sind stärker geräuschanfällig.
  • Ihr Arbeitstempo ist verlangsamt und sie haben häufig Defizite in der Arbeitsorganisation.
  • Hinzu kommen die Schwierigkeiten Verhalten und Gefühle zu steuern, Handlungen zu planen, Impulse zu kontrollieren, Ziele zu entwickeln und angemessen auf Umweltbedingungen zu reagieren.

Wie wirken sich legasthene Schwierigkeiten auf die psychische Situation aus?

Von größter Bedeutung ist es, die psychosoziale Entwicklung der legasthenen Kinder im Auge zu behalten. Die ersten schulischen Erfahrungen des Scheiterns vergrößern nicht nur Lernrückstände. Vielmehr verlieren die Kinder jegliches Selbstvertrauen. Sie begegnen den schulischen Herausforderungen mit Versagensängsten. Regelmäßige Misserfolgserlebnisse führen zu zunehmender Demotivation. Sie werden mutlos und resignieren. All diese psychischen Fehlbelastungen reduzieren nachweislich die Leistungsfähigkeit des Arbeitsgedächtnisses und wirken sich negativ auf die Arbeitshaltung aus. Psychische Belastungen hindern die jungen Menschen daran, ihr Potential abzurufen oder weiterzuentwickeln.

 

Diagnostik

An vielen Schulen werden inzwischen Tests zur Lese- und Rechtschreibleistung in den unterschiedlichen Altersstufen durchgeführt (z. B. die Hamburger Schreibprobe, oder der Münsteraner Rechtschreibtest). Hieraus ergeben sich häufig wichtige Hinweise bezüglich der Ursachen der Defizite. Eine Legasthenie-Diagnostik umfasst darüberhinaus einen Intelligenz- und einen psychologischen Test. Diese Diagnose wird durch Ärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie oder von Kinder- und Jugendpsychotherapeuten gestellt. Ein solche Diagnosefeststellung ist erforderlich, um in den Schulen einen Nachteilsausgleich zu beantragen. Adressen finden Sie auf unserer Link-Seite.

 

Therapie

An erster Stelle steht immer das Verständnis für die Schwierigkeiten des Kindes. Es gilt - neben dem Training der Funktionen und der gemeinsamen Arbeit an den Symptomen - die psychische Situation der Kinder zu verbessern. Um erfolgreich zu sein, brauchen sie wieder Selbstvertrauen und Zuversicht. Welche Funktionen betroffen sind und in welchem Ausmaß ist individuell. Eine qualifizierte Therapie muss auf diese individuellen Schwächen antworten, weshalb nur eine Einzelförderung sinnvoll ist.
  

Sie wollen mehr über das Problem Legasthenie erfahren?

Wir bieten für Eltern und Lehrer regelmäßig Informations- und Fortbildungsveranstaltungen an. Gute Informationen über Ursachen und Auswirkungen von Teilleistungsschwächen finden Sie auch beim Bundesverband Legasthenie und Dyskalkulie.

Das Lernhaus ist immer für Sie da: 0211 - 66 96 48 33